Mit Beginn des Jahres 2018 wird an der Goethe-Universität unter der Leitung von Thomas Ede Zimmermann (Fachbereich 10) ein von der DFG gefördertes Reinhart-Koselleck-Projekt zum Thema Propositionalismus in der linguistischen Semantik anlaufen.
Ganz allgemein stehen (lt. DFG-Homepage)

Koselleck-Projekte […] für mehr Freiraum für besonders innovative und im positiven Sinne risikobehaftete Forschung. Durch besondere wissenschaftliche Leistung ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll die Möglichkeit eröffnet werden, in hohem Maße innovative und im positiven Sinne risikobehaftete Projekte durchzuführen.

Das Frankfurter Propositionalismus-Projekt bemüht sich um die Klärung der theoretischen Grundlagen der formalen Semantik, eines auch der gebildeten Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Teilgebiets der Linguistik, in dem der Beitrag der Grammatik zum sprachlichen Inhalt im Mittelpunkt steht (und nicht etwa die Bedeutung einzelner Wörter). Genauer gesagt geht es in dem Projekt um den für die Semantik zentralen Unterschied zwischen extensionalen und intensionalen grammatischen Konstruktionen. Erstere zeichnen sich dadurch aus, dass man in ihnen bezugsgleiche Namen und Beschreibungen füreinander ersetzen kann, ohne dass sich am Wahrheitsgehalt der Gesamtaussage etwas ändert. Relativsätze, die in einer Frankfurter Forschergruppe seit Jahren eingehend untersucht werden, sind ein Beispiel für extensionale Konstruktionen. So kann der Satz ‘Der Betrüger, der aus Wiesbaden stammt, ist flüchtig’ nicht falsch werden, wenn man den Ortsnamen durch die Beschreibung ‘[aus] der Hauptstadt Hessens’ ersetzt, die denselben (Orts-) Bezug aufweist. Die Anbindung von Objektsätzen an sog. Einstellungsverben wie ‘wissen’ und ‘meinen’ ist dagegen eine intensionale Konstruktion: in dem Satz ‘Fritz weiß, dass der Betrüger aus Wiesbaden stammt’ ist eine entsprechende Ersetzung des Ortsnamens nicht unbedingt legitim; denn Fritz könnte ja falsche Vorstellungen von der Hauptstadt Hessens haben (oder gar keine).

Für die formale Semantik erweist sich die auf den ersten Blick vielleicht willkürlich anmutende Unterscheidung zwischen extensionalen und intensionalen Konstruktionen als zentral: während sich erstere mit einfachen mengentheoretischen Mitteln erfassen lassen – der Anbindung (restriktiver) Relativsätze entspricht z.B. eine Schnittmengenbildung –, erfordern letztere die Einbeziehung ungleich komplexerer Operationen der Informationsverabeitung. Typischerweise sind an intensionalen Konstruktionen (ganze oder auch unvollständige) Sätze beteiligt – wie im Fall der oben erwähnten Objektsatz-Anbindung, bei der ein Nebensatz als Objekt eines transitiven Verbs fungiert. Einer einflussreichen Tradition zufolge ist dies kein Zufall: nach sog. propositionalistischen Analysen ist Intensionalität stets eine Folge von Satzeinbettung, auf die sich scheinbare Gegenbeispiele durch geeignete Paraphrasen zurückführen lassen. So scheint z.B. bei der Anbindung direkter Objekte an Verben wie ‘suchen’ auf den ersten Blick kein Satz beteiligt zu sein, obwohl es sich um eine intensionale Konstruktion handelt, wie der Ersetzungstest belegt: aus der Wahrheit des Satzes ‘Maria sucht ein französisches Restaurant’ kann man nicht auf die Wahrheit von ‘Maria sucht ein teures Restaurant’ schließen – und zwar auch dann nicht, wenn es sich bei den französischen Restaurants zufällig gerade um die teuren Restaurants handelt (und ‘teures Restaurant’ und ‘französisches Restaurant‘ also bezugsgleich sind). Andererseits lässt sich der genannte Satz einigermaßen akkurat umschreiben mit ‘Maria versucht ein französisches Restaurant zu finden’; und diese Umschreibung bringt eine Infinitivkonstruktion ins Spiel – also eine Art subjektlosen Satz. In der formalen Semantik wird diese Konstruktionen folglich vielfach als eine verdeckte Satzeinbettung behandelt. Das Frankfurter Propositionalismus-Projekt ist nun der allgemeinen Frage gewidmet, inwieweit sich die propositionalistische Strategie auf beliebige intensionale Konstruktionen beliebiger Sprachen anwenden lässt.

Dabei geht es nicht nur um die Auffindung und Analyse potenzieller Gegenbeispiele. Das für Koselleck-Projekte charakteristische Risiko lauert vor allem in der Theoriebildung. Denn bisherige Versuche in dieser Richtung haben gezeigt, dass sich durch Einsatz algebraischer Kodierungstechniken scheinbare Gegenbeispiele in aller Regel so umformulieren lassen, dass dem Propositionalismus zumindest dem Buchstaben nach Genüge getan wäre. Um ihn angesichts dieser Trivialisierungs-Resultate auch dem Geiste nach aufrechtzuerhalten, bedarf es freilich neuer, restriktiverer Präzisierungen des Propositionalismus-Programms, um deren Formulierung und empirische Überprüfung sich das Projekt bemüht. Die dafür nötige interdisziplinäre Expertise aus Linguistik, Logik und Sprachphilosophie werden der Projektleiter gemeinsam mit (zunächst) vier MitarbeiterInnen und einer Reihe von
internationalen Kooperationspartnern einbringen.

PS: Wer mehr über das Gebiet der formalen Semantik erfahren möchte, kann
dazu T. E. Zimmermanns handliche Einführung in die Semantik
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2014) konsultieren.